Interview

Vielen Zuschauern dürften Sie bereits aus Ihrem erfolgreichen Dokumentarfilm „Taste the Waste“ bekannt sein.

Der Erfolg hat uns selbst überrascht – bei einem „ekligen“ Thema wie Abfall war das nicht unbedingt zu erwarten. Dass es in letzter Konsequenz um die Wertschätzung unserer Lebensgrundlage geht, hat dann eine erstaunlich breite Öffentlichkeit zu schätzen gewusst, von sehr jungen Öko-Aktivisten bis hin zu älteren Menschen, die selber noch großen Mangel erfahren haben.

Es gibt die Annahme, dass diese Themen vor allem Menschen ansprechen, die ohnehin schon einen bewussten Lebensweg gehen.

In den letzten Jahren ist das Publikum für diese Themen größer geworden. Neben der klassisch engagierten Szene gibt es ein wachsendes allgemeines Unbehagen und Interesse an den Dingen, die ganz offensichtlich falsch laufen. Laut Marktforschung sind 25 Prozent der Konsumenten ansprechbar für die Frage „Wo kommt mein Essen her?“ - mehr als doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren. 75 Prozent ist es jedoch nach wie vor egal. Diese Menschen kaufen nach Preis und halten alles andere für Schaumschlägerei. Das muss man auch wissen.

Welche Form von Aufklärung bzw. „Erziehung“ steckt in 10 MILLIARDEN?

Ich sehe mich keinesfalls als Pädagoge, der weiß, wo es langgeht, dazu ist das Thema viel zu komplex. Pamphletartige Aussagen wie „Bio für zehn Milliarden“ oder „Alle müssen vegan werden“ will ich vermeiden. Dennoch sehe ich 10 MILLIARDEN zusammen mit unserem begleitenden Buch „Harte Kost“ und der Plattform „Taste of Heimat“ als Kampagne, die auch in Schulen und Institutionen eingesetzt werden kann und vor allem eines vermitteln soll: Ich kann die globale Entwicklung beeinflussen, indem ich regionale Produkte kaufe. Dem zweifellos
vorhandenen Trend zur Nachhaltigkeit will ich das Niedliche, Landlustige nehmen, denn eine Umstellung unserer Ernährung hat weltpolitische Bedeutung. Beispielsweise ist lange unterschätzt worden, welch großen Anteil die Lebensmittelindustrie am Klimawandel hat: Bereiche wie Landwirtschaft, Transport, Verarbeitung und die Veränderung der Landnutzung machen 40 Prozent aus. Wir müssen nicht bei jedem Bissen daran denken, dennoch möchte ich eine gesellschaftliche Debatte anstoßen und eine bestimmte Richtung zeigen - ohne erhobenen Zeigefinger.

Wie etwa auf Fleisch zu verzichten?

Ich bin selbst kein Vegetarier, aber staune, wie sehr sich mein Fleischkonsum im Entstehungsprozess des Films reduziert hat. Insgesamt neige ich nicht zu radikalen Lösungen. Fleischproduktion muss nicht zwangsläufig unnachhaltig sein – so wie derzeit in den meisten Fällen. Beispielsweise gibt es nichts Besseres für marginale Gebiete wie das Hochgebirge oder Wiesen in Mittelgebirgen als Weidehaltung. In manchen Dürrezonen wächst nur Gras, das ausschließlich von Tieren genutzt werden kann. Die Landwirtschaft ist eine der wenigen Wirtschaften, die CO2-negativ sein, Kohlendioxid also binden kann. In der aktuellen Form der Massentierhaltung passiert das natürlich nicht, und für die Industrieländer gilt zweifellos, dass wir viel zu viel Fleisch konsumieren.

10 MILLIARDEN zeigt politischen, ökologischen, wissenschaftlichen und menschenrechtlichen Wahnsinn, aber auch beeindruckende Einzelinitiativen.

Jeder von uns hat ja auch Handlungsspielraum und es ist nicht nötig, in Pessimismus zu verfallen. Die Aussicht auf „10 Milliarden“ wird durchaus auch von den Geschäftsinteressen der Großkonzerne missbraucht, um Angst zu verbreiten und die eigenen Lösungen durchzudrücken. Ich sage nicht, dass alles, was dort passiert, brandgefährlich ist, aber man sollte die Motivation hinter den vermeintlich heilsbringenden Innovationen sehen. Mir selbst liegt es fern, einfache Lösungen zu präsentieren. Was heißt schon „Esst regional“? Über Regionalität, Saisonalität muss man sich auch erst mal informieren können.

Die Episode in der indischen Hühnerfabrik, die im Zuge des gestiegenen Fleischkonsums floriert, stimmt bedenklich. Was wird passieren, wenn Nationen wie China oder Indien im Zuge von „Wirtschaftswundern“ die Handlungsweisen der Industrieländer übernehmen?

Das ist in dieser Form gar nicht möglich, da ihnen eine „Vierte Welt“ fehlt, deren Ressourcen sie in dem Maße ausbeuten können, wie wir es getan haben. Deshalb können die vielen Menschen, die dort noch auf dem Lande leben, nicht einfach in die Städte abwandern. Doch zunehmend werden sie von Großfarmen verdrängt, die ihnen den Zugang zu Land und Wasser nehmen. Oft bauen sie Tierfutter an, für unsere Massentierhaltung in Europa.“

In puncto Lifestyle ist die 1980er-Vollkorn-Askese einer eher hedonistischen Einstellung mit fairem Kaffee in der 1.000-Euro-Maschine gewichen.

Wir sind verwöhnt. Ich esse und koche gerne, was für mich kein Widerspruch zu Engagement ist. Für mich liegt der Schlüssel in der Wertschätzung. Auch Resteverwertung kann lustvoll sein. Ich muss nicht zwangsläufig an Hungerbäuche denken, wenn ich mein Essen aus einer lokalen Bauerngemeinschaft beziehe.

… die jedoch nie das Idyll darstellt, das wir aus Kinderbüchern oder von den fröhlichen Kühen auf Milchpackungen kennen.

Selbst in der Bio-Variante nicht. In der Landwirtschaft hat man es täglich mit Gedeih und Verderb zu tun. Wir Städter haben dazu keinen direkten Zugang mehr, sondern müssen bei der Unterscheidung zwischen gut und schlecht auf Krücken wie das Mindesthaltbarkeitsdatum vertrauen. 10 MILLIARDEN versucht auch, etwas Grundwissen über Landwirtschaft zu vermitteln, um einschätzen zu können, wie und wo man wirkliche Qualität erhält. An der Distanz, die zwischen Bauern und Verbrauchern entstanden ist, leiden auch die Landwirte. Durch die Billig-Entscheidungen der Konsumenten sind sie zu Praktiken wie unfreiwilliger Vergrößerung der Betriebe gezwungen. Der Bauernverband gibt vor, die Interessen der kleinen Landwirte zu vertreten, ist aber für kompletten Freihandel, der die Kleinen kaputt macht.

Folgen wir also Mary Clears (und Martin Luthers) Vorschlag: „Lasst uns ein Apfelbäumchen pflanzen?“

Aber keinen aus dem Baumarkt! Gerne eine alte Apfelsorte aus regionalem Anbau.